7 Großformatige Collagen auf Aludibond, 240 x 65 cm, 2023 sollen auf dem alten Werksgelände erzählen was hier einst geschah..
Das schlanke Hochformat war eine große Herausforderung. Dazu die Idee, die Tafeln Ortsbezogen zu arbeiten. Also, jede genau für einen vordefiniertes Gebäude, wie die alte Füllstoffzentral, den Kalandersaal oder das Kraftwerk.... Das hat mich doch einige Nerven gekostet.
Im Atelier bekommen alle Tafeln noch ihren UV und Wetter-, und Kantenschutz.
UND TSCHÜSS
Das Kraftwerk war
Herz und Motor der gesamten Produktion. Jahrzehnte lang sicherte es den stetig
steigenden Energiebedarf des Werks. Über ein fortwährend ratterndes Förderband
wurden die nimmersatten Öfen im Kesselhaus tonnenweise mit schwarzer Kohle
gefüttert. Fossile Nahrung, um die Turbinen für die Stromgewinnung anzutreiben:
„Ohne gesicherte, bedarfsgerechte Energieversorgung keine Papierproduktion“.
„Es war ein schweißtreibender, unverzichtbarer Knochenjob für alle hier
Beschäftigten“.
Auf dieser Tafel nun inszeniert Iris Stephan das Spannungsfeld
zwischen kraftvoller Dynamik und stillem Abgesang. In den schweren,
bunt-ätzenden Farben ihrer Malerei scheint etwas Bedrohliches zu leben, das
alles fressen muss, das alles wegrafft, um Kraft zu sammeln. Zugleich bildet
dieses Farbszenario den Hintergrund für das Ende, die Insolvenz, das endgültige
Aus am 30.04.2021.
ABGESTELLT
Der Mitarbeiter mit Tasche über der Schulter und seiner Jacke in der Hand
blickt in eine ungewisse Zukunft. Er darf ein letztes Mal im Vordergrund
stehen, stellvertretend für alle von der Insolvenz Betroffenen. In seinem Blick
spiegeln sich die immer wachen Enttäuschungen und Kränkungen. Das beharrliche
Pendeln zwischen Trauer und Wut, das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden,
lastet auf seinen Schultern.
UND TSCHÜSS
Wetterhäuschen
Auf dieser Tafel
rekonstruiert Iris Stephan mit Hilfe eines historischen Fotos aus der Stiftung
Zanders ein pittoreskes Beispiel verschwundener baulicher Substanz.
Die vergessene, ursprünglich hier beheimatete Wetter-station musste dem heute
diesen Platz einnehmenden Labor weichen. Nichts erzählt mehr von der Bedeutung
der hier gemessenen wichtigen meteorologischen Daten für den
Papierherstellungsprozess.
Das durch ein
verdecktes Wortfragment entfremdete Hinweisschild schafft eine überraschende,
nur auf den ersten Blick ungebrochen humorvoll wirkende Erweiterung des
ursprünglichen Sinnzusammenhangs. Die Künstlerin schafft hier eine geradezu
märchenhaft unschuldig anmutende Szene (junge Frau in weißem Kleid auf
Zehenspitzen vor Wetterhäuschen) und konfrontiert uns zugleich mit einem noch
heute aktuellen Tabuthema: dem gesellschaftlichen Umgang und den sozialen und
ökonomischen Folgen ungewollter Schwangerschaft.
Die Künstlerin verwandelt das ehemalige Wetterhäuschen in eine offizielle
Ausgabestelle für Verhütungsvorschriften - damals wie heute wohl undenkbar.
Gute alte Zeit
Wenn die
Gegenwart umfassende Veränderungen fordert, wenn fremdes Denken, unbekanntes
Tun Einzug in unseren gewohnten Alltag hält, wenn uns die Zukunft unsicher
erscheint, neigen wir Menschen dazu, die alten Zeiten zu verklären. Ja
damals, da war alles besser. Bitte nicht stören!
Diese Collage erzählt uns in Kurzform die Geschichte dieser guten alten Zeit:
plakativ dahin geblättert, wie ein in seine Einzelteile zerlegtes Daumenkino.
Ganz oben der Zanders-Schriftzug, davor ein Kleinlastwagen, bereit zur
Auslieferung
der Feinpapiere – auf geht’s. Im Hintergrund ein wenig Natur. Hinaus in die
Welt, auf verkehrs-armen Straßen, durch beschauliche Wohnsiedlungen, und
wieder ein Stückchen Natur. Zanders belieferte mit seiner LKW-Flotte die nahe
und die weite Welt mit Premiumprodukten. Die Papierfabrik war ein guter
Arbeitgeber, der vielen Familien ihr Auskommen sicherte. Zanders prägte die
Stadt und die Region über viele Generationen. Ein Verschwinden dieses
Giganten war schlicht nicht vorstellbar.
Mit ihrer grauschwarzen Malerei, dem schmutzigen Auswurf, den turbulenten
Wolkenstrudeln und den giftgelben Flecken und Pfützen bricht Iris Stephan die
wohlige Idylle. Sie stört den schönen Schein und erinnert uns an den in alter
Zeit recht sorglosen Umgang mit der Natur.
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Nur vom Feinsten
Das Kalandersaalgebäude erbaut 1888 ist
heute denkmalgeschütz.
Die Arbeiterinnen im Kalandersaal hatten die Aufgabe, die hochwertigen Papiere,
für die Zanders berühmt war, Blatt für Blatt zur Veredelung in den Kalander einzuführen.
Ein System aus beheizten und polierten Stahlwalzen entzog dem Papier seine
Restfeuchte und gab ihm Glätte und Glanz.
Nach dieser aufwendigen Spezialbehandlung wurde jeder einzelne Bogen von den
Sortiererinnen noch einmal einer Qualitätskontrolle unterzogen und dann erst
verpackt. Eine schwere, äußerst anstrengende Arbeit, die über Stunden
Genauigkeit und höchste Konzentration erforderte. Mit jedem Blatt hielten die
Mitarbeiter-innen somit ein Stück Verantwortung für die Einhaltung des
Qualitätsversprechens und dem daran gekoppelten Erfolg der Zanders-Feinpapier
AG buchstäblich in ihren eigenen Händen.
Diese Tafel ist ein gutes Beisspiel für das assoziative Vorgehen der Künstlerin bei ihrer Arbeit. Inspiriert von einem Foto (hier die Arbeiterin am Bogenkalander), dem Innen und Außen des Ortes, der konservierten Atmoshäre, den Farben, den recherchierten Fakten und erzählten Geschichten, übersetzt sie das Reale ins Abstrakte.
In der unteren Hälfte ihrer Arbeit greift sie die Fromensprache dieser beeindruckenden Maschine auf, übernimmt die schwarz-grau-rost dominierten Farben der Walzen und Bänder und schafft so ein abstraktes Abbild des Kalanders.
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Drehschiebeeinheit
„Papier wird im Holländer gemacht“, so
sagen es die erfahrenen Papiermacher. In den wannenförmigen, mit Messerwalzen
ausgestatteten Trögen wurden Lumpen, Zellstoff, Holzstoffe und Altpapier
zerkleinert, zerfasert und durch Zugabe von Wasser gemahlen. Dann musste der
sogenannte Stoffmüller Füll-, Farb-, und
Hilfsstoffe
so anreichern, dass damit dass gewünschte Papier zu produzieren war.
Iris
Stephan inszeniert eine Drehschiebeeinheit oben auf der Fotocollage wie eine
Krake, die auf ihren Einsatz lauert. Über ihn konnte man exakt steuern, welche
Mengen der notwendigen Stoffe in das Gemisch kamen. Ein kleiner Junge
beobachtet hier fasziniert, wie diese hochkomplexe Mischung entsteht:
Nach einer Zauberformel, die sich auch nicht offenbart, wenn wir ein Stück
fertiges Papier in den Händen halten.
Tanz der chemischen Prozesse
Das gelbe
Warnschild (ein Fundstück aus der Stoffaufbereitung der legendären
Papiermaschine PM3) auf der zweiten Tafel an der ehemaligen Füllstoffzentrale
fordert uns dazu auf, eine Schutzbrille zu tragen.
Dieser sicher fürsorglich gemeinten Aufforderung zu folgen scheint auch
dringend nötig, denn Iris Stephan lässt die Elemente frei.
Mit ihrer expressiven Malerei gibt sie diesem Werk Freiheit, sie lässt die
Farben streunen, Partner suchen. Hier eine Verbindung als glättende Aktion, dort eine Trennung als scharfe
Reaktion. Hier mischen sich die Stoffe, hier finden sie die beste Formation.
Die im Dunklen sieht man
nicht
Das ursprüngliche Werkstattgebäude wurde
1880 errichtet und später durch An- und Umbauten zur Zentralwerkstatt
erweitert; denn mit der Anschaffung neuer Papiermaschinen (ab 1888) war doch
eine viel größere und modernere Reparaturwerkstatt erforderlich. Hier waren
fast alle handwerklichen Berufe vertreten.
Iris Stephan skizziert
in ihrem Werk das im Rahmen des Rückbaus völlig geräumte Gebäude (F45) fragil
und nur in grob angedeuteten Konturen. Alles ist offen, vieles scheint möglich.
Die Hülle steht auf eruptivem Grund. Vielleicht befeuert ein noch im Dunkeln
verborgener, kreativer Geist das starre Magma, um mutig ans Licht zu drängen
und das verlassene Gebäude mit neuem Leben zu füllen.
Eine visionäre, schemenhafte Abstraktion auf das, was hier noch werden kann.
Ein optimistischer Blick auf die komplexen Herausforderungen des
Konversionsprozesses und dessen künstlerische Flankierung durch die kreativen
Geister.
Die Betriebsmittel-Kennzeichnungen „Umschaltung“ und „Licht“ sind Fundstücke
vom Werksgelände.